„Vorpommern nach vorn bringen. Das muss drin sein!“

Dr. Gerd Erich Neumann

Die Linke will eine Zukunft für Vorpommern, statt weiterer Demontage des Sozialstaates!

Referat auf dem Kreisparteitag am 22.08.2015 von Dr. Gerd-Erich Neumann

Selbst A. Böhmer muss in der „OZ“ am 23.07. 2015 feststellen, „ dass Landstriche in Sachsen-Anhalt, Nordbrandenburg und Vorpommern seit 1990 veröden und nur eins kennen — Rückwärtsgang.“

Und: Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Gropp rät, „mittelfristig zur „Landflucht“. Die Politik müsse den Mut haben und sagen, dass die Infrastruktur in dünn besiedelten Gebieten auf Dauer nicht auf dem bisherigen Niveau gehalten werden könne. Er erklärte auf die Frage „Also weg vom Land?“: „Ich befürchte mittelfristig schon. Man muss sich auf die Städte konzentrieren, gerade in Ostdeutschland.“ Das Ganze ist nicht neu: Bereits am 24.07.2009 schrieb das ND „die Abwanderung Ost scheint nicht unumkehrbar“. Ein Wissenschaftler Klingholz bescherte uns damals diese Erkenntnis, die eigentlich die Ohnmacht der Regierenden ermutigen sollte. Ich erinnere mich noch gut: Wir arbeiteten zu diesem Zeitpunkt im Regionalen Planungsverband mit Hochdruck an einem Konzept für die Entwicklung Vorpommerns, das auf der Grundlage entstand, dass mit der fortschreitenden Globalisierung Vorpommern sich auf die Zusammenarbeit mit Polen und die skandinavischen Ostseeanrainer konzentrieren muss.

Wollen wir uns nicht aufgaben dann gibt es eine gemeinsame Zukunft Mecklenburg-Vorpommerns nur bei einem höheres Tempo bei der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aufholjagd in Vorpommern. Ich würde auch betonen: Dazu müssen die Linken in beiden Kreisen koordiniert zusammen gehen da auch der Strategiebericht der Regierung von 2014 keine Differenzierung ausweist.. DIE LINKE muss das immer wieder deutlich machen:

Zu den Antworten der Landesregierung auf eine Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE sagte Helmut Holter im Landtag: „In Mecklenburg-Vorpommern sind wir von gleichwertigen Lebensverhältnissen in allen Teilen des Landes noch weit entfernt. Es wird ein deutliches Gefälle zwischen den westlichen und östlichen Landesteilen sichtbar. Dies schlägt sich beispielsweise in höherer Arbeitslosigkeit, geringerem Einkommen, mehr Krankheit und Armut sowie einer allgemeinen Strukturschwäche in den vorwiegend vorpommerschen Landesteilen nieder, wo die Menschen auch früher sterben als in Mecklenburg. Das Grundgesetz fordert die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. Wir sind der Überzeugung, dass dieser Anspruch auch innerhalb unseres Bundeslandes gelten muss.“ Die Koalitionsredner widersprachen aber ohne Kenntnisse zu besitzen heftig. Für die Politik seien Ozeaneum, Radwege oder schöne Gärten die erkennbaren Fortschritte für Vorpommern. Einem Koalitionär viel dann noch der Kriegsschiffbau in Wolgast und Wendelstein ein. Von den wirklichen Leuchttürmen, die als Ersatz für die weltmarktfähigen Schiffe aus Stralsund mit den Zulieferern, neu entstanden kein Wort. Die Bedeutung der Hanse-Group in Greifswald oder der Eisen-gießerei in Torgelow haben sie wohl nicht zur Kenntnis genommen.

Wer versteht eigentlich Was unter der Begrifflichkeit der Kampagne?

Die ILO versteht unter prekärer Arbeit die geringe Sicherheit des Arbeitsplatzes, den geringen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitssituation, einen nur partiellen arbeitsrechtlichen Schutz und keine Chancen auf eine materielle Existenzsicherung. Was wäre also „Gute Arbeit“? Gewährleistet Existenzsicherung schon ein „Gutes Leben“? Was müssen „Gute Löhne“ sein? Das statistische Bundesamt bezeichnet Arbeit als prekär wenn diese nicht auf Dauer den Lebensunterhalt und die soziale Sicherheit gewährleistet.

Die entscheidenden Probleme sind für Vorpommern die Arbeitswelt und die Armut. Hier sollte die Kampagne ansetzen. Zu den Daten und Fakten : Unter den 40 ärmsten aller Kreise Deutschlands finden wir beide vorpommerschen Kreise. Hier leben 28,9 % % der Bevölkerung aber nur 27,5 % der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und 32,4 % der Unterbeschäftigten. In 33.900 Bedarfsgemeinschaften leben 31,7 % aller Personen und 32 % aller erwerbsfähigen Leistungsempfänger des Landes. Unsere völlig ausgegrenzten Arbeitslosen das waren im Dezember 2014 die Langzeitarbeitslosen. Von 31,8 % der Leistungsbezieher des Landes sind 30.527 in Vorpommern über 4 Jahre arbeitslos.

Es lohnt auch ein Blick in die Sanktionsstatistik:

Vom April 2014 bis zum März 2015 wurden in Vorpommern 7.816 Sanktionen verhängt, davon 5.518 (70,6%) wegen Meldeversäumnissen. Man wird doch mal fragen dürfen: Welchen Sinn sehen die 30.500 Menschen, die bereits 4 Jahre auf Arbeit warten, in der andauernden Aufforderung, sich bei dem Jobcenter zu melden, das für sie absolut nichts Positives bewegen kann oder will.

Oder wie erklärt man sich, dass 31,2 % (32.421) der MV-Bedarfsgemeinschaften in Vorpommern 1.447 Widersprüche und 3.148 Klagen einreichen müssen? Man wird doch mal fragen dürfen: Sind die Jobcenter nicht in der Lage, ihre „Kunden“ entsprechend der gesetzlichen Lage selbst ordentlich zu betreuen?

Der Zusammenhang von prekärer Arbeit und Armut

Eine Verstärkung von prekärer Arbeit, Armut und Not ist nicht nur bei An- und Ungelernten und gering qualifizierten Arbeitnehmern festzustellen sondern auch bei Dienstleistern und Fachkräften aus Lehrberufen und bei noch höher Ausgebildeten im Erziehungswesen, in der Sozialarbeit und in Verwaltungs- und Buchhaltungsberufen - und ganz besonders bei Kleingewerbetreibenden ohne oder mit wenigen Beschäftigten und in freien Berufen entstanden.
Schließlich gibt es noch eine Spaltung zwischen dauerhaft eingestellten Kernbelegschaften und den jungen Menschen als Neueinsteigern, sowie denen, die aus der Arbeitslosigkeit kommen, die nur noch zu schlechteren Bedingungen eingestellt werden.
Vorpommern hat seit 2005 mit Ausnahme des Jahres 2009 immer die höchste Armutsgefährdungsquote im Land. Sie betrug z. B. 2005 25,9 % und bereits 2013 27,8 %. Von keiner Region in Deutschland wird die Armutsgefährdungsquote Vorpommerns übertroffen.
Armut liegt immer dann vor, wenn der Mensch keine angemessene Teilhabe an der Gesellschaft hat, das heißt „ausgegrenzt“ ist. Wichtige Dimensionen der prekären Lebenslage sind das Wohnen, eine Mindestversorgung in Erziehung und Bildung, das Gesundheitswesen, Mobilität, Zugang zu Informationen, die kulturelle Beteiligung, der Rechtsschutz, soziale Kontakte und soziale Integration.

Welche Inhalte könnten die Kampagne in Vorpommern bestimmen?

Gemeinsam sollten wir kämpfen für:

1. Die Zukunft ist auf die Metropolenregion Stettin und Westpommern auszurichten und es sind konkrete Vereinbarungen zwischen staatlichen und gesellschaftli-chen Verantwortungsträgern für gemeinsame innovative Projekte abzuschließen.

2. In Zukunft werden Offshore-Plattformen und Konverterplattformen mit den für ih-ren Betrieb notwendigen Dienstleistungen auf See und Hafenseitig den Hauptteil der maritimen Industrie bestimmen. Auch der Spezialschiffbau und Flusskreuz-fahrtschiffe sowie Yachten aller Größen finden immer mehr Abnehmer. Notwen-dig sind die ständige Vervollkommnung der Infrastruktur sowie die Erweiterung von Reparaturkapazitäten.

3. Auf Grund der langen Küste und der Attraktivität und Einmaligkeit der Landschaft Vorpommerns dürften touristische Projekte prioritär sein, aber auch die Hafenka-pazitäten müssen schneller und gut abgestimmt entwickelt werden. Der demogra-fischen Entwicklung folgend, ist eine besondere Förderung der seniorenfreundli-chen Bedingungen für ein erfülltes Leben und die spezifische Lebensqualität im Alter zu gewährleisten.

 

Und in jedem Kreis sollten wir kämpfen für:

4. Entsprechend der eigenen, vor allem kommunalen, Möglichkeiten sind die Rah-menbedingungen für arbeitsmarkt- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu verbessern. Die industriellen Ansiedlungen, das ländliche Gewerbe sowie Dienst-leistungen und Handwerk sind entsprechend der lokalen und kommunalen Be-dingungen zu stärken und dadurch Arbeitsstellen und die Wertschöpfung zu si-chern.

5. Auch die Menschen in Vorpommern sollen die Möglichkeit erhalten, uneinge-schränkt und freiwillig an Genossenschaften mitzuwirken um die Deckung ihres Bedarfs an sozialen Dienstleistungen zu organisieren. So sollten Sozialgenos-senschaften, Dorfgemeinschaften, Assistenzgenossenschaften für Menschen mit Behinderungen, Interessierten an Jugendclubs bzw. dörflichen Begegnungsstät-ten eine genossenschaftliche Zukunft geboten bekommen.

6. DIE LINKE fordert die soziale Stabilisierung durch lebenslange Weiterbildung und nachhaltige Qualifizierungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose, betriebliche Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen und einen Arbeitsplatz nach deren Aus-bildung.

7. Die Arbeitsmarktakteure vor Ort sollen die Entscheidung über die Ziele der Be-schäftigungspolitik in die Hand des Kreistages legen.

8. Die traditionellen Beschäftigungsgesellschaften sind zu erhalten und sollen in einem beratenden Gremium bei der Trägerversammlung ihre Vorschläge verbind-lich einbringen können.

9. Der Erhalt der vielfältigen kulturellen Einrichtungen ist für die Entwicklung der vorpommerschen Identität zu sichern. 10. Die Barrierefreiheit als Voraussetzung für die Lebensqualität einer älter werden-den Bevölkerung und für den Tourismus ist durchgängig weiter zu stärken.

 

Von der Landesregierung ist ein Regionalbudget für Strukturentwicklung und ein Fonds für Vorpommern vorzuhalten, der die Nachholentwicklung in Vorpommern in allen Ressorts finanziell absichert.  Eine Zukunft für Vorpommern muss durch die Menschen mitgestaltet werden wenn sie Erfolg haben soll.

Was wäre sinnvoll?

Beratungen zur Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze ohne Tabus mit den Sozialverbänden, Beschäftigungsgesellschaften und Dienstleistungsgesellschaften.

Initiativen im Planungsverband zur Zusammenarbeit mit Stettin und Westpommern.

Anfragen und Vorschläge in den Kreistagen zur kommunal gesteuerten Beschäftigungsförderung, insbesondere für die maritime Wirtschaft und bei Dienstleistungen. Diese Anfragen und Vorschläge müssen vollständig bekannt gemacht werden, z. B. bei Info-Ständen, in Flugblättern vor den Jobcentern und anderen BA-Einrichtungen.

Die Presse wird nur ungenau informiert, immer mit der ablehnenden CDU-Manipulation durch den Landrat oder den demogratiefeindlichen Deklarationen des OB in der HST geschmückt.

Anfragen und Vorschläge in den Kreistagen zur langfristigen und planmäßigen Gestaltung der Dörfer und Dorfgemeinschaften.

Schaffung eines Beispiels von einer funktionierenden Dorfgenossenschaft.

Forderung nach Projekten für Kinder und Jugendliche.

Untersuchungen zur Barrierefreiheit mit Organisationen von Menschen mit Behinderungen mit dem Ziel, die „Barrierefreiheit für Alle“ weiter zu entwickeln.

 

Weitere Anmerkungen des Autors zu Prekäres - Zahlen und Fakten