Vernässung der Moore

Kühl, Andrea

Anfrage:
1. Wie wird die von der Hansestadt Stralsund für landwirtschaftliche Nutzung verpachtete Fläche bewirtschaftet?
- Bei welchem Anteil dieser Flächen handelt es sich um organische Flächen
(= entwässerte Moore)? Angaben bitte in Prozent und in absoluten Zahlen (ha).
- Bei welchem Anteil dieser Fläche handelt es sich um Ackerland, bei welcher um
Grünland?
- Welcher Anteil dieser letztgenannten Flächen wird extensiv bewirtschaftet und welcher intensiv?
- Welcher Anteil dieser Flächen ist bewaldet/wird forstwirtschaftlich genutzt?
- Welche Menge CO2 gasen die Stralsunder Moorflächen pro Jahr aus?
2. Welche Schritte wurden von der Hansestadt Stralsund bzw. von ihrem Klimamanagement im Hinblick auf die Moorvernässung bereits getan?
3. Welche Maßnahmen sind weiterhin geplant?
- Welche Schwierigkeiten sind zu erwarten und wie gedenkt man, diese Probleme
zu lösen?
- Welcher Anteil der ehemaligen Moorflächen kann auf keinen Fall wieder vernässt werden und warum nicht?
4. Gibt es eine qualifizierende Kartierung bzw. Datenbank der in Frage stehenden Flächen?
5. Welche Möglichkeiten zur Kooperation mit betroffenen Landwirten sieht die
Stadtverwaltung?
- Welche Möglichkeiten der Verwertung bzw. Vermarktung von Produkten aus
Paludi-Kulturen sind vorhanden oder zukünftig denkbar?
gAF 0003/2022 Seite 2 von 2
- Sind genossenschaftliche Wirtschaftsformen denkbar?
6. Welche Fördermittel (Land, Bund, Stiftungen, Landwirtschaftsgesellschaft...)
können abgerufen werden?
- Welche neuen Möglichkeiten bringt das kürzlich erlassene
EU-Landschafts- Wiederherstellungs-Gesetz?
7. Welcher Anteil der von einer potentiellen Moorvernässung betroffenen Flächen befindet sich in Streubesitz (d. h. mehrere Eigentümer teilen sich eine zusammenhängende Moorfläche)?
8. Ist das Klimamanagement der Hansestadt Stralsund ausreichend qualifiziert und personell hinreichend besetzt, um diese komplexen Aufgaben zu bewältigen?
- Welche Art von Know-How fehlt, um bei Streubesitz die Verhandlungen über Moorvernässung zu moderieren?
Begründung:
Die Hansestadt Stralsund besitzt etwa 8000 ha für landwirtschaftliche Nutzung verpachtete Fläche. Viele Moore wurden in den vergangenen Jahrzehnten zum größten Teil melioriert,
d. h. trockengelegt. Diese trockengelegten Moorflächen gasen durch Verrottung der Torfbestandteile im Landkreis VR jährlich ca. 660.000 t CO2 aus, dazu nicht unerhebliche Mengen an Lachgas. Gleichzeitig verschlechtert sich durch diesen Zersetzungsprozess die Bodenqualität. Meliorierte Moorflächen gelten bei uns als Hauptverursacher von Treibhausgasen - noch vor den menschlichen Aktivitäten! Pro Hektar werden im Jahr ca. 25 Tonnen CO2 ausgestoßen, was je nach Art der Fläche variiert. Intakte Moore nehmen hingegen CO2 auf, anstatt es auszudünsten.
Eine Wiedervernässung ehemaliger Moorflächen könnte den Ausstoß klimaschädlicher Gase erheblich reduzieren und wäre daher ein wesentlicher - im Grunde unverzichtbarer - Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels. Außerdem könnte renaturierten Mooren in Zeiten trockeneren Klimas eine besondere Bedeutung als Wasserspeicher zukommen. Auch im Sinne des Artenschutzes und der Artenvielfalt wäre die Maßnahme sehr wichtig.

Herr Dr. Raith beantwortet die große Anfrage wie folgt:
Die Fragen betreffen ein Themenfeld, über das bisher keine aufbereiteten Informationen vorliegen. Die Fragestellung ist komplex. Ein Teil der Fragen wird wahrscheinlich auch gar nicht beantwortet werden können (z.B. CO2-Freisetzung). Schon zur Erlangung von Grundlagen ist ein kleines Forschungsvorhaben erforderlich, das einer Masterarbeit würdig wäre.
Herr Dr. Raith möchte daher im Folgenden skizzieren
a) welcher methodische Ansatz geeignet ist, um flächenbezogene Informationen zum Thema Landwirtschaft auf Moorböden zu gewinnen
b) welche Hypothesen auf Basis einer ersten, nicht repräsentativen Stichprobe möglich erscheinen,
um abschließend wenigstens versuchsweise einige der Fragen zu beantworten.
a)
Die Hansestadt Stralsund hat derzeit insgesamt ca. 7.781 ha an Landwirte verpachtet. Davon sind 5.264 ha Ackerland (67,6 %) und 1.866 ha Grünland (24 %). Der Liegenschaftsverwaltung ist nicht bekannt, bei welchen landwirtschaftlich genutzten Flächen es sich um entwässerte Moore handelt.
Flächenscharfe Aussagen zu Landwirtschaft auf Moorböden können nur auf Basis einer GIS-basierten Auswertung gewonnen werden. Das Amt für Planung und Bau hat hierzu umfangreiche Daten vom LUNG M-V und vom Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt angefordert, die allerdings teilweise erst seit dieser Woche, teilweise noch nicht vollständig vorliegen. Im Einzelnen handelt es sich um:
- Feldblockkataster mit Angaben zu Ackerschlägen und Dauergrünland
- Bodenschätzung mit Angaben zu Mooren und sonstigen kohlenstoffreichen Böden/Moorfolgeböden
Diese als Shapes vorliegenden Flächeninformationen müssen zusammengeführt und ausgewertet werden. Aus der Verschneidung der unterschiedlichen Shapes mit den bereits hinterlegten Eigentumsflächen der Hansestadt können zum einen statistische Angaben zu Größe bzw. Anteil von Moorböden an der landwirtschaftlichen Nutzfläche gewonnen werden (s. Frage 1). Zum anderen bietet das kartographische Ergebnis einen guten Überblick über die relevanten Flächen (s. Frage 4).
Aus den geographischen Daten nicht ableitbar sind Aussagen zur Art der Landwirtschaft (extensiv/intensiv) oder zum aktuellen Zustand der Böden.
b)Herr Dr. Raith zeigt einen willkürlich gewählten, daher nicht repräsentativen Ausschnitt aus der oben skizzierten kartographischen Aufbereitung. Es zeigt sich:
- Moorbereiche umfassen sowohl größere zusammenhängende Flächen (Senken) als auch kleine punktuelle Vorkommen (Sölle)
- Zumindest Teilflächen der Moorböden werden landwirtschaftlich genutzt, dabei handelt es sich nicht nur um kleinere Randstreifen, sondern durchaus auch um größere Flächen
- Größere Moorbereiche haben in der Regel auch verschiedene Eigentümer
- Aktualität und damit Qualität der Bodenschätzung kann jedoch im Einzelfall fraglich sein, da die Angaben der Bodenschätzung nicht systematisch fortgeschrieben werden (s. Rügenzubringer)
c)Damit erscheinen folgende Antworten auf die Fragen möglich:
zu 1. und 4.:
Die GIS-gestützte Auswertung wird einen statistischen wie flächenscharfen Überblick über landwirtschaftliche Nutzung auf Moorböden im Stralsunder Eigentum geben, nicht aber Aussagen zur Art der Bewirtschaftung oder zum Umfang von CO2-Freisetzung ermöglichen.
zu 7.:
Voraussichtlich wird bei größeren Moorkörpern (d.h. alles was über ehem. Sölle hinausgeht) Streubesitz die Regel sein. D.h., Vernässungen von Stralsunder Flächen ziehen Beeinträchtigungen auch für Flächen anderer Eigentümer nach sich und müssen daher einen umfangreichen Planungs- und Genehmigungsprozess durchlaufen (Planfeststellung mit Umweltverträglichkeitsprüfung und evtl. weitere Fachgutachten). Für solche Planungen fehlen der Verwaltung die personellen und finanziellen Ressourcen. Hinzu kommt, dass die Flächen nicht im Stadtgebiet liegen und die Hansestadt folglich nicht Trägerin des Verfahrens sein kann. Eine Genehmigung wird gegen den Widerstand anderer Grundeigentümer auch nicht durchzusetzen sein.
zu 2. und 3:
Aus o.g. Gründen hat die Hansestadt Stralsund bislang keine Maßnahmen zur Vernässung ehemaliger Moore ergriffen und plant derzeit auch keine solchen Maßnahmen.
Wenn es hierzu einen Arbeitsauftrag geben sollte, muss zudem bewusst sein, dass landwirtschaftlich genutzte Flächen in der Regel langfristig verpachtet sind. Landwirtschaftliche Pachtverträge sind gesetzlich besonders geschützt (Landpachtverkehrsgesetz), d.h.: falls überhaupt eine Kündigung oder Vertragsänderung möglich ist, hat der Landwirt Ansprüche auf Entschädigung.
zu 5. und 6.:
Die Fragen betreffen die Betriebsführung der Landwirtschaftsbetriebe und können von der Verwaltung nicht beantwortet werden. Dies betrifft auch das Ertragspotenzial vernässter Flächen und einen möglichen Ertragsausgleich durch Fördermittel.
Als Fazit bleibt festzuhalten: Die Hansestadt ist denkbar ungeeignet, in Bezug auf eine klimatisch sicherlich sinnvolle Wiedervernässung von Moorböden die Rolle als Planungsträgerin zu übernehmen. Weder ist die Hansestadt hoheitlich zuständig, noch steht es der Hansestadt als einer von vielen betroffenen Grundeigentümern zu, einseitig entsprechende Schritte vorzubereiten.
Vielmehr ist auf den Aufbau entsprechender Strukturen (z.B. einer vom Land getragenen Moorschutzagentur) zu warten, die entsprechende Verfahren sowohl hinsichtlich Planung und Genehmigung als auch möglicher Entschädigung und Förderung bündelt. In einem solchen breiter getragenen Prozess kann sich die Hansestadt gerne konstruktiv einbringen.
Auf die große Anfrage findet eine Aussprache statt.
Herr Lange bittet um Klarstellung zur Kenntnis der Hansestadt Stralsund zu im Besitz befindlichen Moorflächen.
Herr Dr. Raith erläutert, dass die erforderlichen Daten angefordert wurden und mittels GIS flächendeckend aufbereitet und ausgewertet werden.
Frau Kümpers erkundigt sich, ob die GIS-Karten öffentlich gemacht werden.
Herr Dr. Raith stellt klar, dass zunächst die eigentumsrechtlichen Belange geklärt sein müssen. Sollte eine Veröffentlichung, insbesondere der städtischen Flächen, rechtmäßig sein, ist nach seiner Auffassung eine Kenntnisnahme durch die Bürgerschaft möglich.
Es gibt keine weiteren Fragen.